Perioperatives Delir

Perioperatives Delir

Perioperativer Prozess Delir LUKS

Adaptiert nach Aldecoa et al., 2017

 
  • Die Früherfassung der Patienten mit dem Risiko für das Entwickeln eines Delirs im perioperative Prozess ist elementar
  • Frühzeitiges Einleiten von notwendigen Massnahmen ist essentiell
Am wichtigsten ist nach ICD10 die Unterscheidung zwischen einem „konventionellen“ Delir und einem Delirium Tremens (Entzugsdelir)
  • Für den perioperativen Prozess wurde am LUKS (Luzern) das interprofessionelle Konzept “Delir im perioperativen Prozess” erarbeitet
  • Grundlage für das Konzept bilden die Guidelines der Europäischen Gesellschaft für Anästhesiologie (Aldecoa et al., 2017)

Eingrenzung

  • Konzept für Erwachsene im perioperativen Prozess von der Notfallstation bis zur Verlegung auf eine Bettenstation oder die Intensivpflegestation
  • Das Aufwachdelir (Emergence Delir) bei Kindern nach einer Anästhesie ist ausgeschlossen (SOP Emergence Delir Kinderspital)

Assessment (4AT)

INZ

  • Alle Patientinnen und Patienten über 65 Jahre und/oder mit einem Alkoholabusus werden vom Pflegepersonal auf der interdisziplinären Notfallstation (INZ) mit dem Instrument 4AT auf das Risiko für ein Delir gescreent
  • Hat der Patient mehr als 4 Punkte, besteht ein Risiko für ein Delir und Massnahmen zur Prävention eines Delirs werden eingeleitet (Bellelli et al., 2014)
  • Ebenso wird das Risiko für ein Delir in die Diagnoseliste des Patienten aufgenommen

AWR

 

Assessment Delir (4AT)

  • Bei Eintritt in den Aufwachraum und Austritt aus dem Aufwachraum wird das Assessment für ein Delir mit dem 4AT wiederholt
  • Dies wird bei der Übergabe rapportiert. Die Pflegeabteilungen arbeiten mit dem Instrument DOS
  • Es werden Assessments bezüglich der Schmerzen, der Sedierung und des Delirs durchgeführt

Assessment Schmerzen

  • Ein Schmerzassessment mit dem für den Patienten passenden Instrument (NRS/VAS oder ZOPA) muss regelmässig erfolgen und entsprechende Interventionen eingeleitet werden

Assessment Sedierung

  • Die Sedierung wird bei jeder Überwachung mit dem RASS beurteilt und dokumentiert

Definition und Hintergrund

  • Ein Delir ist ein komplexes neuropsychiatrisches Syndrom
  • Gekennzeichnet durch eine Störung der Aufmerksamkeit und der Wahrnehmung. (Oh, Fong, Hshieh, & Inouye, 2017)
  • Delir nach ICD10: Ätiologische unspezifisches, hirnorganisches Syndrom, gekennzeichnet durch die gleichzeitig bestehenden Störungen des Bewusstseins, der Aufmerksamkeit, der Wahrnehmung, des Denkens, des Gedächtnisses, der Psychomotorik, der Emotionen, sowie des Schlaf-Wach-Rhythmus
  • Die Dauer und der Schweregrad sind sehr unterschiedlich

Delir-Formen nach ICD 10

  • Nicht durch Entzug von Alkohol oder anderen psychotropen Substanzen hervorgerufen
  • Durch Entzug von Alkohol oder psychotropen Substanzen hervorgerufen (Paulitsch, 2009)

Klinische Delirformen

  • Es werden drei Subtypen eines Delirs beschrieben
  • Die meisten Patienten erleiden entweder eine Mischform oder ein hypoaktives Delir (Schubert et al., 2018)
Hyperaktives Delir Hypoaktives Delir Gemischtes Delir
Gesteigerte Motorik Reduzierte Motorik Hyper- und hypoaktive Symptome
Ruhelosigkeit Verlangsamung  
Agitation, Ungeduld
Umherwandern
Passivität  
Stimmungsschwankungen Apathie / Lethargie  
Psychotische Symtpome
(z.B. Halluzinationen, Wahnvorstellungen)
Somnolenz  
Vegetative Entgleisung
(z.B. Tremor, Tachykardie)
Aufmerksamkeitsdefizit
Ev. psychotische Entgleisung
 

(Savaskan & Hasemann, 2017)

Delirverlauf

  • Der Beginn eines Delirs ist gewöhnlich akut
  • Die Symptomatik ist im Tagesverlauf wechselnd (Lieb, Frauenknecht, Brunnhuber, & Elsberger, 2011)
  • Ein Delir beginnt meistens im Aufwachraum und dauert bis zu 5 Tage (Aldecoa et al., 2017)
  • Patienten mit einem Delir haben eine erhöhte Mortalität, bleiben länger auf der Intensivpflegestation, weisen einen erhöhten Pflegeaufwand auf und generieren höhere Kosten (Schubert et al., 2018)

Inzidenz

  • 0-15% der Patienten auf chirurgischen Stationen
  • Ca. 15-25% der Patienten auf internistischen Stationen
  • Insgesamt 30-40% aller Patienten über 65 Jahre im Verlauf ihres stationären Aufenthalts (Lieb et al., 2011)

Risikofaktoren

Vorbestehende Risikofaktoren Risikofaktoren während der Hospitalisation
Älter als 65 Jahre Infektionen
Fieber
Kognitive Einschränkung
Demenz
Medikamente
Psychiatrische Störungen
Suchterkrankungen
Flüssigkeitshaushalt
Elektrolyte
Schwere Erkrankungen
Komorbiditäten
Diabetes mellitus
Fehlernährung
Karzinome
Grosse operative Eingriffe
Hypoxie
Delir in der Anamnese Schmerzen
Polypharmazie Notfalleingriffe
  Umgebungsfaktoren
Verlust der vertrauten Umgebung

Abbildung adaptiert nach (Aldecoa et al., 2017; Lieb et al., 2011; Michaud et al., 2007)

Pathophysiologie

  • Hauptursachen des Delirs sind Störungen der Neurotransmitter, insbesondere ein Überschuss an Dopamin und ein Defizit an Acetylcholin
  • Aber auch die noradrenergen, GABAergen und glutama-tergen Systeme scheinen eine Rolle zu spielen
  • Diskutiert wird auch die Entstehung des Delirs durch eine neuroinflammatorische Kaskade
  • Dabei geht man davon aus, dass periphere Faktoren wie eine Entzündung oder chirurgische Eingriffe eine systemische Inflammation verursachen und der dabei entstehende Anstieg von Zytokinen über die Aktivierung von mikroglialen Zellen und Astrozyten die ZNS-Symptome verursacht

Auslöser

  • Infektionen: HWI, Pneumonie, ZNS-Infektion (bei alten Leuten eine Herpes-Enzephalopathie)
  • Medikamentenneben- oder –Wechselwirkung: Dopaminerge und noradrenerge Medikamente, Cortison, Chemotherapeutika
  • Entzugserscheinungen bei Alkohol- oder Benzodiazepinabhängigkeit
  • Exsikkosen insbesondere bei älteren Menschen
  • Chirurgische Eingriffe: Vor allem nach hüftnahen Frakturoperationen
  • Metabolische Ursachen: Blutzucker, Elektrolyte
  • Hormonelle Störungen: Schilddrüse, Nebenschilddrüse
  • Urämie

Delirdiagnostik

Anamnese

  • Medikamentenanamnese (Anticholinergika, Schmerzmedikamente, Benzodiazepine)
  • Akuter Beginn
  • Fluktuierender Verlauf

Status

  • Status inklusive neurologischer Untersuchung

Labordiagnostik

  • Blutbild (Anämie, Exsikkose, Entzündung)
  • INR
  • CRP (Infektion, Sepsis)
  • Natrium, Kalium, Calcium, Phosphat (Exsikkose, Elektrolytstörung, Hypoparathyreoidismus)
  • Glucose (Hypo-, Hyperglykämie)
  • Transaminasen, alk. Phosphatase (Leberversagen)
  • Kreatinin, GFR (Niereninsuffizienz)
  • TSH (Hypo-, Hyperthyreose)
  • Vitamin B12 (Hypovitaminose)
  • Urinstatus (HWI, ev. inkl. Screening Benzodiazepine)
  • Medikamentenspiegel (Digoxin, Antiepileptika)
  • Lumbalpunktion bei St. febrilis mit unklarem Fokus

Bildgebung

  • Thorax-Rx bei Verdacht auf Pneumonie
  • CT Schädel bei fokal neurologischen Zeichen, Hirndruckzeichen, Verwirrtheit nach Sturz auf den Kopf

EEG

  • Ausschluss eines nicht konvulsiven Status epilepticus

Delirprävention

  • Hoher Stellenwert der pflegerischen Massnahmen in der Prävention und Behandlung des Delirs
  • Es ist wichtig, dass sich der Patient orientieren kann, weshalb Sehhilfen und Hörgeräte bei diesen Patienten bis zum Ende der Anästhesieeinleitung belassen werden
  • Die Patienten sollen möglichst wenig Lärm ausgesetzt werden (geschlossene Türen in Koje und Anästhesieeinleitung, Monitoralarme adäquat einstellen)
  • Der Einbezug von Angehörigen ist ein wichtiger Pfeiler in der Prävention eines Delirs
  • Angehörige werden auf der Notfallstation über das Risiko eines Delirs informiert und sollen den Patienten auch im Aufwachraum beiwohnen können

INZ

  • Assessment zu Schmerzen und Delir werden von den Pflegefachpersonen durchgeführt und bei Bedarf Massnahmen eingeleitet (siehe Konzept Schmerztherapie INZ, Flussdiagramm interprofessionelles Konzept Delir)
  • Orientierung: Dem Patienten die Möglichkeit geben, die Uhrzeit einzusehen. Bei Bedarf Orientierungstafel von der Intensivstation installieren (Datum, Uhrzeit)
  • Für Ruhe sorgen: Lärm auf ein Minimum reduzieren: Alarme beim Monitor adäquat einstellen. Nachts Beleuchtung dimmen
  • Angehörige: Angehörige sollen dem Patienten beiwohnen können. Die Angehörigen werden vom Arzt über ein Risiko für ein Delir beim Patienten informiert. Die Pflegefachperson gibt den Patienten die Informationsbroschüre zum Delir ab. Die Erreichbarkeit der Angehörigen für die Betreuung im Aufwachraum wird eingeholt und in der Pflegedokumentation notiert

AWR

  • Orientierung: Der Patient soll möglichst am Fenster platziert werden, damit für ihn ein Tag- Nachtrhythmus erkennbar ist
  • Für Ruhe sorgen: Lärm auf ein Minimum reduzieren: Alarme beim Monitor adäquat einstellen. Nachts Beleuchtung des Monitors dimmen. Hat der Patient ein Risiko für ein Delir, kann die Überwachung des EKG nach Rücksprache mit dem Kaderarzt der Anästhesie sistiert werden
  • Angehörige: Die Angehörigen können dem Patienten Sicherheit, Orientierung und Zuversicht vermitteln und sollen bereits im Aufwachraum dem Patienten beiwohnen. Sie werden im INZ auf diese Möglichkeit hingewiesen und vom Personal des Aufwachraums anvisiert
  • Verlegung: Um bei Patienten mit einem Risiko für ein Delir die wichtige Massnahme der Orientierung zu gewähren, sollen diese Patienten wenn immer möglich nicht nach 22 Uhr auf die Pflegeabteilung verlegt werden

Prämedikation

  • Bei der Prämedikation soll bei einem Risiko für ein Delir auf Benzodiazepine verzichtet werden
  • Bei Patienten mit einem Alkoholabusus sollen jedoch Benzodiazepine zur Prävention für ein Delirium Tremens bei der Prämedikation verabreicht werden (Aldecoa et al., 2017; Kork, Neumann, & Spies, 2010)

Intraoperativ

  • Aktuell gibt es keine klaren wissenschaftlichen Daten, die einen Vorteil bei der Wahl von Medikamenten während der Anästhesie aufzeigen
  • Barbiturate und Benzodiazepine gilt es zu vermeiden
  • Die Tiefe der Anästhesie hat einen Einfluss auf das postoperative Delir, weshalb eine zu tiefe Anästhesie vermieden werden muss. Dem Risiko der Awareness ist dabei Rechnung zu tragen.
  • Für das Monitoring der Anästhesietiefe kann in diesen Situationen ein BIS – Monitoring indiziert sein (Aldecoa et al., 2017; Punjasawadwong, Chau-In, Laopaiboon, Punjasawadwong, & Pin-On, 2018)

Postoperativ

  • Es gibt keine Medikamente zur Prävention des Delirs. Ausnahme sind Benzodiazepine zur Behandlung und Prävention des Delirium Tremens (Aldecoa et al., 2017; Kork et al., 2010)
  • Um ein Delir auszuschliessen, muss eine adäquate Schmerztherapie mit einem kontinuierlichen Schmerzassessment erfolgen (Aldecoa et al., 2017)
  • Falls weiterhin das Risko für ein Delir besteht, soll die Diagnose eines Delirs durch den Konsiliardienst der Psychiatrie gestellt werden (auch im Aufwachraum!)

Delirtherapie

Peroral

Psychomotorisch verlangsamt
+/- Halluzinationen
Psychomotorisch angetrieben
+/- Halluzinationen
Alkoholentzugsdelirium
Haldol 0.5-1mg per os
(3-4x/d) max.10mg
Dipiperon 20-40mg per os
bis 4x/d
Diazepam 5-10mg per os
bis 4x/d
(Reserve 60-80mg)
Dipiperon 20-40mg per os
bis 4x/d bei Unruhe
Haldol 0.5-1mg per os
(3-4x/d) max.10mg
Lorazepam per os bei schwerer Leberschädigung
(4x1mg und bis 7.5mg in Reserve)
  Lorazepam bis max 7.5mg
zusätzlich bei starker Unruhe
Haldol per os
bis max. 20mg/d
    Vitamin B-Substitution

Intravenös (AWR /IPS)

Haldol i.v. 1mg-weise bis max. 10mg
Lorazepam i.v. bis max. 7.5mg
(kein Einfluss auf Cytochrom P450, keine aktiven Metaboliten)

Delirbehandlung bei Parkinson

Quetiapin bis max. 300mg/Tag

Intramuskuläre Behandlung

  • Delir-Behandlung bei Patienten auf der Abteilung, welche die Einnahme von Medikamenten verweigern (z.B bei schwerer Demenz)
Haldol i.m. 2-5mg/24h
Diazepam i.m. 2-5mg/24h bei Unruhe/Aggresivität
Lorazepam kann bei älteren Patienten eine paradoxe Reaktion auslösen
Bei Patienten mit grenzwertigen QT-Werten und dringend notweniger Behandlung mit QT-verlängernden Medikamenten muss neben Dosis-Anpassung (QT-Verlängerung ist meistens dosisabhängig) auch auf hoch-normalen Kaliumwert und Gabe von Magnesium sowie Pausieren oder Umstellung von anderen, QT-Zeit-verlängernden Medikamenten geachtet werden

Literaturverzeichnis

  • Aldecoa, C., Bettelli, G., Bilotta, F., Sanders, R. D., Audisio, R., Borozdina, A., . . . Spies, C. D. (2017). European Society of Anaesthesiology evidence-based and consensus-based guideline on postoperative delirium. European Journal of Anaesthesiology, 34(4), 192-214. doi:10.1097/eja.0000000000000594
  • Bellelli, G., Morandi, A., Davis, D. H., Mazzola, P., Turco, R., Gentile, S., . . . MacLullich, A. M. (2014). Validation of the 4AT, a new instrument for rapid delirium screening: a study in 234 hospitalised older people. Age Ageing, 43(4), 496-502. doi:10.1093/ageing/afu021
  • Kork, F., Neumann, T., & Spies, C. (2010). Perioperative management of patients with alcohol, tobacco and drug dependency. Curr Opin Anaesthesiol, 23(3), 384-390. doi:10.1097/ACO.0b013e3283391f79
  • Konzept Delir Alterstraumatologie Luzerner Kantonsspital (2015). Internes Dokument Blaubuch Alterstraumatologie
  • Lieb, K., Frauenknecht, S., Brunnhuber, S., & Elsberger, S. (2011). Intensivkurs Psychiatrie und Psychotherapie: Elsevier Health Sciences Germany
  • Michaud, L., Bula, C., Berney, A., Camus, V., Voellinger, R., Stiefel, F., & Burnand, B. (2007). Delirium: guidelines for general hospitals. J Psychosom Res, 62(3), 371-383. doi:10.1016/j.jpsychores.2006.10.004
  • Oh, E. S., Fong, T. G., Hshieh, T. T., & Inouye, S. K. (2017). Delirium in Older Persons: Advances in Diagnosis and Treatment. Jama, 318(12), 1161-1174. doi:10.1001/jama.2017.12067
  • Paulitsch, K. (2009). Grundlagen der ICD-10-Diagnostik: UTB GmbH
  • Punjasawadwong, Y., Chau-In, W., Laopaiboon, M., Punjasawadwong, S., & Pin-On, P. (2018). Processed electroencephalogram and evoked potential techniques for amelioration of postoperative delirium and cognitive dysfunction following non-cardiac and non-neurosurgical procedures in adults. Cochrane Database Syst Rev, 5, Cd011283. doi:10.1002/14651858.CD011283.pub2
  • Savaskan, E., & Hasemann, W. (2017). Leitlinie Delir: Empfehlungen zur Prävention, Diagnostik und Therapie des Delirs im Alter: Hogrefe
  • Schubert, M., Schurch, R., Boettger, S., Garcia Nunez, D., Schwarz, U., Bettex, D., . . . Rudiger, A. (2018). A hospital-wide evaluation of delirium prevalence and outcomes in acute care patients – a cohort study. BMC Health Serv Res, 18(1), 550. doi:10.1186/s12913-018-3345-x

Autoren

  • Modifiziert nach: Interprofesionelles Konzept Delir INZ/KLIFAiRS LUKS (Luzern): Luzia Vetter (KLIFAiRS), Priska Felder (INZ), Dr. P. Zberg (KLIFAiRS), Prof. M. Christ (INZ), Dr. D. Lazzarini (Konsiliarärztin LUKS) April 2019
 
Mitwirkende Autor/innen

Verantwortlicher Author
Dr. med. Christian Salis
Oberarzt mbF Anästhesie