ERAS® = Enhanced Recovery after Surgery

ERAS® = Enhanced Recovery after Surgery

Eingriffsspezifische Besonderheiten

Ziel ist durch Anwendung eines einheitlichen Behandlungspfades unter Berücksichtigung der aktuell besten, klinisch-wissenschaftlichen Evidenz ein besseres Outcome für den Patienten zu erreichen und die Hospitalisationsdauer zu reduzieren. Die zuletzt erreichte Reduktion der Hospitalisationsdauer betrug im Mittelwert 3.7 Tage auf im Mittel 7.5 Tage in der Viszeralchirurgie.

Das Ziel bei ERAS® besteht darin, die Homöostase der Patient/-innen so wenig wie möglich zu beeinträchtigen, die Genesung zu beschleunigen und die Autonomie der Patient/-innen rasch wieder herzustellen. Die Anwendung eines solchen multimodalen Ansatzes zur Stressminimierung hat wiederholt gezeigt, dass die Morbiditätsrate gesenkt, die Genesung verbessert und die Aufenthaltsdauer nach grossen kolorektalen Operationen verkürzt werden kann (Gustafsson, 2019). ERAS® kann auf verschiedene Operationen angewendet werden.

Entgegen früherer „Fast-Track-Protokolle“ wird bei ERAS® ein von der ERAS® Society erarbeitetes und nach aktuell bester klinischer Evidenz ein für alle teilnehmenden Zentren einheitliches Behandlungsschema angewendet. Des Weiteren steht die ständige Messung der „compliance to protocol“ im Fokus um laufend und nachhaltig einen Erkenntnisse und Verbesserungspotenzial zu erkennen. Die digitale Implementierung des ERAS Pathways wie im LUKiS ist auch international betrachtet ein Meilenstein.

Das Kernstück von ERAS® ist die enge interprofessionelle Zusammenarbeit und wird in die Phasen prä-, intra- und postoperativ eingeteilt. Im LUKiS wurde dafür ein Pathway gebaut, bei dem die einzelnen Phasen definiert und visuell dargestellt werden. Dieser Pathway wird bei der Allokation durch die Viszeralchirurgen gestartet. Sämtliche Verordnungen einer Standardversorgung sind dabei bereits als „signiert und gehalten“ hinterlegt. Die Verordnungen sollen vom ärztlichen Dienst geprüft werden und können jederzeit angepasst werden. Neu werden beim Sign Out nach der Operation die Medikationsverordnungen gemeinsam von der Chirurg/-in und der Anästhesist/-in abgeglichen. Die Anwendung der Verordnungssets “Anästhesie postoperativ” entfällt. Der Abgleich der patienteneigenen Dauermedikation bleibt unverändert.

Präoperativ findet eine Beratung und Schulung bei der sogenannten ERAS® Nurse statt. Als elementarer Baustein im Behandlungspfad koordiniert und analysiert sie die Prozesse. Die Patient/-innen werden für die Operation von ihr instruiert und erhalten eine Schulung, um postoperativ eine aktive Rolle im Behandlungsprozess einzunehmen. Diese Sprechstunde findet im Anschluss an das Prämedikationsgespräch in der Anästhesiesprechstunde statt.

 

Anästhesiesprechstunde (ERAS® Tag)

  • Anästhesiologisches Risikoassessment und Aufklärung
  • Check: Patient Blood Management bereits gestartet durch Hausarzt? (Chirurgie sendet bei OP-Anmeldung notwendige Unterlagen direkt an Hausarzt und Patient)
    • Andernfalls Start PBM Schema gemäss SOP
    • Eisen-Infusion/EPO Gabe durch ERAS® Nurse (Verordnung durch Anästhesie, Orderset PBM)

Konversionen von Laparoskopien zu Laparotomien aktiv antizipieren und mit Operateur präoperativ besprechen

Nur bei hoher Wahrscheinlichkeit zu einer Konversion von der Laparaskopie zum offenen Verfahren: Periduralkatheter aufklären

  • Physiotherapie Prehabilitation
    • Bei Patienten mit: CF, COPD, Bronchiektasen, Lungenfibrose telefonische Anmeldung Konsilium Physiotherapie für Prähabilitation. Hinweis, dass Patient/-in in ERAS® Sprechstunde (Physiotherapie kommt zum Patient)
  • Ernährung
    • Am Vorabend 400ml Carbohydrate Drink (Ausnahme Diabetiker/innen: kein Vorabend Carbohydrate Drink) 
    • 6h Nüchternheit für feste Nahrung
    • Bis 2h vor Operation klare Flüssigkeiten PLUS 200ml Carbohydrate Drink zum Carboloading (auch Diabetiker*innen).
  • Suchtmittelanamnese
    • Erfassung Suchtmittelanamnese für Alkohol & Nikotin. Bei stark positiver Anamnese Rücksprache mit ERAS® Nurse

Im Rahmen des ERAS® Behandlungspfades sind bereits vom Operateur hinterlegte Standardverordnungen gemäss best scientific evidence der ERAS® Society signiert worden. In der Anästhesiesprechstunde entfällt somit das Orderset „Anästhesie Präoperativ“ sowie sämtliche „Nüchternheit, Type and Screen, präoperatives Paracetamol o.ä“ Verordnungen. Die individuelle Dauermedikation des Patienten muss weiterhin vom Anästhesisten und vom Operateur angepasst werden und als PKB (Patientenkurzbericht) abgelegt werden.

Anästhesieeinleitung

  • 2 Venenzugänge
  • Arterienkatheter (Patientenindividuell)
  • Blasenkatheter
  • Type & Screen komplettieren (2. T/S)
  • Bei Patienten mit präoperativ erfolgter Eisen/-EPO Infusion im Rahmen PBM: Blutbild, Ferritin, TSAT bestimmen
  • Ziele: Balancierte Anästhesie, Normovolämie, multimodale Analgesie, PONV- Prophylaxe
    • Beachte kombinierte Wirkung: Opioide, Lidocain, Ketamin, Magnesium, Dexamethason, NSAR
  • Allgemeinanästhesie primär mit Propofol/Remifentanyl TCI (Inhalativa zweite Wahl oder auf Verordnung OA)
    • BIS-Monitoring bei allen Patienten mit Ziel BIS 40-60
    • CAVE: BIS Werte bei Co-Analgesie mit Ketamin erhöht
  • Blutzucker Kontrolle intraoperativ und konsequente Behandlung mit Insulin s.c/i.v:
  • Intraoperativ BZ 7.8 – 10 mmol/l anstreben
  • Insulintherapie erst ab 10 mmol/l (SOP Blutzuckermanagement intraoperativ)

Intraoperativ

  • Analgesie
  • Laparoskopie: Lidocain-Perfusor 1% (max 100mg/h)
    • Laufzeit bis in Aufwachraum
    • zusätzliche LA durch Operateure in Rücksprache OA/LA (Lidocain-Perfusor bis Entlassung AWR)
  • Laparotomie: Periduralkatheter
    • Etablierung PDA: Morphin 1-2mg und Bupi 0.25% (4ml/h) epidural
    • PDA Bolus 3-5ml Bupi 0.25% 30 Minuten vor Ausleitung
  • NSAR intraoperativ (Ketorolac) als fester Bestandteil ERAS® Protokoll
    • Beachte Kontraindikationen: schwere Niereninsuffizienz etc.
  • Co-Analgetika
    • Magnesium 30mg/kg Kurzinfusion vor Hautschnitt
    • Esketamin 25mg vor Hautschnitt (Ausnahme: PDK)
      • bei erhöhtem Opiatbedarf: Etablieren Esketamin Infusion (25mg/h)
    • Alpha-2-Agonisten (z.B Clonidin) nicht regelhaft einsetzen
  • PONV-Prophylaxe
    • Dexamethason 8mg und Ondansetron 4mg (erhalten alle Patient/innen unabhängig von Diabetes Mellitus, Tumorerkrankung)

Dexamethason in höherer Dosierung fördert die Quality of Recovery. Nach aktuellem Kenntnisstand besteht keine erhöhte Rate an postoperativen Infektionen, Anastomoseninsuffizienzen oder Hyperglykämien. Es gibt keine Grundlage onkologischen Patienten mit soliden Karzinomen Dexamethason vorzuenthalten.

Paul S. Myles, Tomas Corcoran; Benefits and Risks of Dexamethasone in Noncardiac Surgery. Anesthesiology 2021; 135:895–903 doi: https://doi.org/10.1097/ALN.0000000000003898

  • Wärmehaushalt
    • Körpertemperatur > 36°C (Normothermie)
    • Bair Hugger
    • Kontinuierliche Temperaturmessung via DK oder ösophageale Sonde
    • Infusomat Infusionen via Wärmespirale wärmen
  • Flüssigkeitsmanagement
    • Infusionen gewärmt Wärmespirale und Gabe via Infusomat (4ml/kg/h)
    • Restriktives Flüssigkeitsmanagement (insgesamt sind 1500-2000ml inkl. Kurzinfusionen in den ersten 24h perioperativ für den Grossteil der Patient/-innen aufgrund verlängerter peroraler präoperativer Flüssigkeitszufuhr ausreichend)

Hypotensive Episoden kritisch im Hinblick auf Narkosetiefe evaluieren und diese nötigenfalls anpassen oder bei Bedarf mit einem Vasopressor behandeln

  • Oligurie immer im Kontext und Nebendiagnosen interpretieren. Oligurie ist ein häufiges Phänomen einer normalen “Stress”-Antwort, vor allem bei Eingriffen mit Laparoskopie/Roboter
    • Eine iatrogene Hyperhydratation kann ebenfalls schädlich sein
  • Blutverlust bei laparoskopischen Colon Eingriffen im Allgemeinen weniger als 300ml
  • Goal-directed Fluid Therapy – mit SVV/PPV/Ösophagusdoppler – zeigte bisher bei low-risk Patienten keinen Outcome/Length of Stay Vorteil und ist zudem bei Pneumoperitoneum nur eingeschränkt interpretierbar
  • Goal-directed Fluid Therapy (GDFT) bei intermediate und high risk Patienten erfordert Monitoring. Die aktuelle Studienlage untermauert den Einsatz eines GDFT für intermediate/ high-risk Patienten da direkt Outcome-relevant (Budgetiert).
  • Relaxation
    • Allzeit tiefe neuromuskuläre Blockade sicherstellen (TOF 0)
    • Reversion am OP-Ende mit Sugammadex
  • Beatmung
    • Angepasste Respiratoreinstellungen bei Pneumoperitoneum (I:E Ratio)
    • FIO2 Reduktion
    • „Recruitment Manöver“ und best PEEP/Ventilator Einstellung nach Vorgabe Oberarzt

Sign-Out

Gemeinsame Verordnungsüberprüfung und Medikationsabgleich bei „Sign-Out“ am OP-Ende durch Operateur und Arzt Anästhesie

  • Abgleich der Dauermedikation, Antikoagulation und ERAS® Pathway-Verordnungen
  • Suchtmittelentzug antizipieren
  • Weitere Informationen zum Umgang siehe LUKiS Tippsheet

N.B: Beim „Time-Out“ bereits Zeitpunkt für „Sign-Out“ besprechen. Idealerweise kann das „Sign-Out“ zwischen Operateur und Arzt Anästhesie vor Anästhesieausleitung (Während Hautnaht) stattfinden. Bei Personalknappheit während Anästhesieausleitung Kommunikation mit Operateur über Zeitpunkt des gemeinsamen „Sign-Out“ (nach Extubation)

Besondere postoperative Elemente

Der Postoperative Verlauf bis zum Austritt wird entlang eines definierten „Pathways“ beobachtet und täglich von der ERAS® Nurse begleitet und überprüft. Das Erreichen im Pathway definierter Tagesziele wird kontrolliert und bei nicht-Erreichen kommentiert. Hierdurch kann die Compliance zum ERAS® Protokoll gemessen und Prozesse laufend verbessert werden.

Oligurie im AWR kann eine „normale Stress”-Antwort bedeuten, welche bis zu 24h dauern kann. Eine iatrogene Hyperhydratation kann fatal sein.

Empfehlung zum fokussierten kardialen Ultraschall POCUS als zusätzliche „bedside“ Interpretation

  • Vitalparameter/-limiten einhalten und Optimieren mit Ziel: Normovolämie, Normotension gemäss Patientenprofil und Transfusionstrigger (KHK etc.)
  • Bei Viszeralchirurgie: Lidocain-Perfusor 1% weiter bis Verlassen Aufwachraum / N.B: Bei Urologie RARC: Kein Lidocainperfusor intra- oder postoperativ
  • Orale Flüssigkeitsaufnahme ab sofort möglich, Beginn im AWR
  • Mobilisation an Bettrand in AWR
  • DK bei Verlegung auf Station entfernen, bei PDK am 1. POD
  • PDK Entfernung gemäss Schmerzdienst (i.d.R. 2/3. POD)
  • Infusion Ringerlactat mit 42ml/h bis Verlegung auf Normalstation
    • „Abstöpseln“ bei Verlegung auf Normalstation
    • Entfernen des zweiten Venenzugangs
  • PONV Therapie im AWR gemäss ERAS® Verordnung (Priorisierung der Reservemedikation hinterlegt)
  • Kaugummi-Abgabe in Aufwachraum
  • Reservemedikation bei C2-Abusus (Delirprophylaxe) (CAGE-Score >3 oder Diagnose/Ereignis in Patientenakte) Verordnung Benzodiazepin (z.B Lorazepam) und Benerva/Becozym

Quellen und Verweise

  • ERAS® Society (erassociety.org)
  • Gustafsson UO, Scott MJ, Hubner M, Nygren J, Demartines N, Francis N, Rockall TA, Young-Fadok TM, Hill AG, Soop M, de Boer HD, Urman RD, Chang GJ, Fichera A, Kessler H, Grass F, Whang EE, Fawcett WJ, Carli F, Lobo DN, Rollins KE, Balfour A, Baldini G, Riedel B, Ljungqvist O. Guidelines for Perioperative Care in Elective Colorectal Surgery: Enhanced Recovery After Surgery (ERAS®) Society Recommendations: 2018. World J Surg. 2019 Mar;43(3):659-695. doi: 10.1007/s00268-018-4844-y. PMID: 30426190.
  • Myles PS, Corcoran T. Benefits and Risks of Dexamethasone in Noncardiac Surgery. Anesthesiology. 2021 Nov 1;135(5):895-903. doi: 10.1097/ALN.0000000000003898. PMID: 34370818.
Mitwirkende Autor/innen

Verantwortlicher Author
Dr.med. Maximilian Marggraf
Oberarzt Anästhesie