Übermässiger Konsum von psychotropen Substanzen, der zu einer Gesundheitsschädigung führt. Diese kann in Form einer körperlichen (z.B. Hepatitis) oder psychischen Störung (z.B. depressive Episode nach exzessivem Alkoholkonsum) auftreten.
Chronische neurobiologische Erkrankung, welche sich nach wiederholtem Substanzgebrauch entwickelt, mit einem komplexen Zusammenspiel zwischen biologischen, sozialen und psychischen Faktoren. Der wiederholte Konsum einer psychotropen Substanz ist per se nicht gleichzusetzen mit dem Begriff der psychischen Abhängigkeit, erst im Zusammenspiel sozialer, psychologischer und neurobiologischer Faktoren definiert sich diese chronische Erkrankung.
Beim psychischen Abhängigkeitssyndrom bestehen folgende Charakteristika:
Das Abhängigkeitssyndrom kann sich auf eine einzelne Substanz, eine Substanzgruppe (z.B. Opioide) oder mehrere Substanzen mit einem pharmakologisch weiten Spektrum beziehen.
Die Terminologie „Sucht“ soll in Zukunft vermieden werden, um eine Stigmatisierung der Erkrankten zu vermeiden und deutlich zu machen, dass es sich bei Abhängigkeit um eine Krankheit handelt.
Repetitiver Konsum von psychotropen Substanzen induziert durch die Aktivierung verschiedener Neurotransmittersysteme (u.a. Dopamin, Serotonin, Noradrenalin, Glutamat, Endocannabinoide) im Gehirn einen langanhaltenden neuroplastischen Prozess mit Verstärkung der nozizeptiven Transmissionen durch emotionale Einflüsse. Aus diesem Grund empfinden Patienten mit einer substanzgebundenen Abhängigkeitserkrankung unter Ausprägung von vegetativen Reaktionen sowie Angstentwicklung Schmerzen stärker als Patienten ohne psychische Abhängigkeit.
Es entwickelt sich durch die verschiedenen neuronalen Prozesse im Verlauf ein sogenanntes Suchtgedächtnis mit Veränderung des Verhaltens (zwanghaftes Verhalten, Drogenhunger/Craving, Kontrollverlust, Selbstschädigung).
Dieses Suchtgedächtnis wird durch eine gesteigerte Reaktionsbereitschaft (=Stressvulnerabilität) gegenüber physischen (z.B. Operation) oder psychischen (Angst, Depression) Stressfaktoren aktiviert, was wiederum das Verlangen nach distress-mindernden Substanzen fördert und so Rückfälle in die Abhängigkeit triggert.
Durch adaptive Anpassung von Rezeptoren sowie deren relevante Neurotransmitter im zentralen Nervensystem wird die Wirkung einer repetitiv eingenommenen Substanz bei gleich bleibender Dosierung vermindert. Diese sogenannte Toleranz entwickelt sich vornehmlich bei ZNS-dämpfenden, seltener bei ZNS-aktivierenden Substanzen.
Die physische Abhängigkeit entwickelt sich als physiologische, neuronale Gegenregulation auf den ständigen Konsum einer psychotropen Substanz. Solange die Substanz im Körper wirkt, ist die physische Abhängigkeit bis auf eine latente Erregbarkeit klinisch nicht relevant. Erst bei einem akuten Substanzmangel können zum Teil schwere körperliche Entzugssymptome – unabhängig der Bewusstseinslage – auftreten, so zum Beispiel während einer Narkose durch Unterversorgung oder unkritischen Einsatz spezifischer Antidota (Naloxon bei Opioiden, Flumazenil bei Benzodiazepinen). Bei ZNS-dämpfenden Substanzen tritt überwiegend ein körperliches Entzugssyndrom (z.T. begleitet von Entzugskrämpfen), bei ZNS-stimulierenden Substanzen ein überwiegend psychisches Entzugssyndrom (Craving, psychotische Störungen) auf.
Die Intensität eines Entzugssyndroms hängt von vielen Faktoren ab (Zeitpunkt der letzten Exposition, Dosierung und Verabreichungsweg der psychotropen Substanz) mit letztlich ausgeprägten interindividuellen Schwankungen.
Nach Schätzungen konsumierten 2017 in der Schweiz ca. 222’000 Personen Cannabis und ca. 120’000 Personen sogenannte harte Drogen (Heroin, Kokain, Ecstasy, Amphetamine, LSD oder halluzinogene Pilze). 1752 Patientinnen und Patienten waren schwerst heroinabhängig und erhielten eine heroingestützte Substitutionsbehandlung („HeGeBe“, Abhängigkeitskranke mit Substutionstherapie). Die Prävalenz von Menschen mit einer psychischen Abhängigkeit von Opiaten (Abhängigkeitskranke ohne Substitutionstherapie) ist schwierig zu beziffern, da konsumierende Personen durch Bevölkerungsbefragungen entweder nicht erreicht werden oder ihren Konsum verbergen. 250’000 Personen gelten als chronisch alkoholabhängig. Gemäss Befragungen besteht zudem häufig eine Polysubstanzabhängigkeit (Polytoxikomanie), da unter anderem per se die Prävalenz einer Abhängigkeit gegenüber einer Substanz das Risiko zur Ausbildung einer Abhängigkeit gegenüber einer anderen Substanz um das Siebenfache erhöht.
Ethylalkohol (Ethanol, C2H5OH) ist eine farblose Flüssigkeit, die bei der Vergärung kohlenhydratehaltiger Nahrungsmittel entsteht. Er wird in den Schleimhäuten des Mund- und Rachenraumes sowie dem Verdauungstrakt ins Blut aufgenommen, zur Leber transportiert und dort metabolisiert. Geschlechts-, Alters- und genetische Unterschiede wirken auf den Stoffwechselprozess ein, so dass der Alkohol nicht bei allen Menschen gleich wirkt. Je nach Menge des absorbierten Alkohols steigt die Blutalkoholkonzentration unterschiedlich hoch an, der Höchstwert ist nach etwa 60 Minuten erreicht.
Blutalkoholgehalt (BAG) in Promille ‰ | Symptome |
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0.2-0.5 ‰ | Nachlassen von Aufmerksamkeit, Konzentration und Reaktionsvermögen |
Ab 0.5 ‰ | Störungen des Gleichgewichts, deutliche Verlängerung der Reaktionszeit, Enthemmung, Selbstüberschätzung |
Ab 0.8 ‰ | Zunehmender Tunnelblick, ausgeprägte Konzentrationsschwäche |
1-2 ‰ | (Rauschstadium): Verwirrtheit, Sprechstörungen, Orientierungsstörungen, übersteigerte Selbsteinschätzung |
2-3 ‰ | Reaktionsvermögen kaum noch vorhanden, Muskelerschlaffung, Verwirrtheit, Erbrechen |
Ab 3 ‰ | Bewusstlosigkeit, Unterkühlung, Koma, Atemabschwächung bis Atemstillstand |
Chronischer risikoreicher Alkoholkonsum: ab 20g reinem Alkohol pro Tag für Frauen respektive 40g für Männer, wobei gesundheitliche Risiken auch schon bei kleineren Mengen entstehen können. Ein Standardglas Alkohol enthält in der Regel zwischen 10-12g reinen Alkohol. Dies entspricht in etwa einer Stange Bier (3dl à 5% Vol.), einem Glas Wein (1dl à 13% Vol.) oder einem Gläschen Schnaps (4cl à 40%Vol.). Der chronische risikoreiche Alkoholkonsum ist für die Entwicklung vieler chronischer Krankheiten (z.B. Karzinome, Pankreatitis, Hepatitis, Polyneuropathie, Demenz, Delir) kausal (mit-)verantwortlich. Zudem führt er zu sozialen Folgeschäden.
Mehr als eineinhalb Millionen Menschen in der Schweiz rauchen und noch mehr rauchen passiv mit. Die in einer Zigarette enthaltenen Substanzen durchlaufen unter den durch die Verbrennung entstandenen hohen Temperaturen (bis 900°C) Veränderungsprozesse, der sich dabei bildende Rauch ist ein Gemisch aus verschiedenen Gasen und Partikeln (>7000 Substanzen, davon viele giftig und karzinogen):
Der Tabakkonsum ist assoziiert mit erhöhtem Auftreten von verschiedenen Krankheiten (bösartige Tumore, v.a. Lunge, Mundboden und Oesophagus; Herz-Kreislauferkrankungen; COPD).
Tabakerzeugnisse weisen ein hohes Abhängigkeitspotential auf, da das Nikotin je nach Konsumform das Gehirn innert kürzester Zeit (10-20 sec) erreicht.
Opioide gehören zu den wirksamsten Medikamenten zur Linderung starker Schmerzen, insbesondere in der perioperativen Medizin. Daneben gibt es auch eine zunehmend steigende Anzahl von Patienten, welche unter einer Dauertherapie mit Opioiden aufgrund chronischer Schmerzen stehen. Dabei wurde in den letzten dreissig Jahren die langfristige Behandlung mit Opioiden von tumorbedingten auf nicht-tumorbedingte Schmerzen übertragen und führte zu einer weltweiten Ausweitung der Verordnung von Opioiden, trotz limitierter Evidenz zu Wirksamkeit, Sicherheit und Verträglichkeit. Man unterscheidet niederpotente (Tramadol, Dihydrocodein) von hochpotenten Opioiden (in Klammern die äquianalgetische Potenz zu Morphin p.o.):
Heroin wird zu den halbsynthetischen Opioiden gezählt, dabei wird die Morphinbase mit Essigsäureanhydrid gekocht (Diacetylmorphin). Die Wirkung von Heroin setzt bereits nach wenigen Sekunden ein, danach stellt sich ein Zustand der Beruhigung ein, das Selbstvertrauen nimmt zu und Ängstlichkeit sowie Anspannung verfliegen. Eine Heroindosis wirkt fünf bis acht Stunden nach Konsum nur noch halb so stark. Heroin wird meist geraucht, kann aber auch geschnupft oder gespritzt werden. Um die Wirkung zu verändern, wird Heroin oft mit anderen Substanzen (Kokain, Benzodiazepine, Gips, Traubenzucker, Strychnin) gestreckt, so dass seine Reinheit stark variiert und die entsprechende Wirkung respektive Risiken nach Konsum schwer kalkulierbar sind.
Heroin hat ein extrem hohes Abhängigkeitspotential (sowohl psychisch als auch physisch), entsprechend äussern sich die Entzugssymptome:
Die Rückfallgefahr nach einem Entzug ist gross, besonders wenn die Betroffenen ins Drogenmilieu zurückkehren. Ebenso ist die Gefahr einer Überdosierung erhöht, da nach einem Entzug die Toleranzgrenze tiefer ist.
Um die grossen gesundheitlichen und sozialen Risiken für Heroinabhängige aufgrund der Lebensumstände und der Illegalität der Substanz zu reduzieren, wird eine entsprechende substitutionsgestütze Behandlung als therapeutische Möglichkeit angeboten mit Reduktion der Mortalität, Verbesserung des allgemeinen Gesundheitszustandes und Lebensqualität sowie Vorbeugung der Übertragung von Infektionskrankheiten. Dabei werden folgende Behandlungsmöglichkeiten unterschieden:
Kokain wird aus den Blättern des Kokastrauches gewonnen. Hauptwirkstoff der Kokablätter ist das Kokain, das über chemische Prozesse zu Kokain-Hydrochlorid umgewandelt wird („Rock-Kokain“, gelb-bräunlich, grobkörnig). Daraus können drei verschiedene Unterarten verarbeitet werden:
Die Konsumform spielt bei der Abhängigkeitsentwicklung eine enorme Rolle: Spritzen und Rauchen sind gefährlicher als Schnupfen, weil die Wirkung schneller und stärker eintritt (Schnupfen 3 Minuten, Rauchen/Spritzen wenige Sekunden), was den Zwang der erneuten Konsumation verstärkt.
Die stimulierende Wirkung von Kokain (körperlich und psychisch) wird durch die Interaktion mit verschiedenen Neurotransmittern (Dopamin, Noradrenalin, Serotonin) erreicht, dabei führt die kurzfristige Erhöhung des Dopaminspiegels zu den starken, aber nur kurz anhaltenden Euphoriegefühlen. Danach stellt sich ein sog. Coming-down ein mit Gereiztheit und depressiver Verstimmung, wenn kein weiteres Kokain konsumiert werden kann.
Überdosierungen treten meist schon bei sehr kleinen Dosen auf (intravenös ab 30mg, oral/Nasenschleimhaut ab 100mg). Typischerweise präsentieren sich die Patienten in einem sehr aggitierten Zustand mit Tachykardie, Hypertonie, Hyperhidrosis und Psychosen mit paranoiden Erlebnissen/Verfolgungswahn oder Angstzuständen.
Cannabis (bot. Bezeichnung der Hanfpflanze) ist in der Schweiz die mit Abstand am häufigsten konsumierte illegale Substanz. Weltweit wird Cannabis in vielen Kulturen für Rituale und zur Berauschung genutzt. Als psychoaktive Substanzen wird Cannabis in folgenden Formen konsumiert (in Klammern der durchschnittliche Gehalt an Delta-9-Tetrahydrocannabinol THC, dem bekanntesten psychoaktiven Stoff des Cannabis):
Cannabisprodukte, welche einen durchschnittlichen Gesamt-THC-Gehalt von >1% aufweisen, unterstehen dem Betäubunsmittelgesetz. Cannabis kann geraucht/inhaliert oder gegessen werden. Es kommt beim Rauchen zu einem schnellen Wirkeintritt (<10min) mit psychoaktiver Wirkung von zwei bis drei Stunden, beim Essen dauert es länger bis zum Wirkeintritt (30min bis 2 Stunden) und die Wirkdauer beträgt drei bis zwölf Stunden. Dabei spielt die aktuelle psychische Befindlichkeit eine grössere Rolle als bei vielen anderen Substanzen: Cannabis verstärkt in erster Linie die Gefühlslage vor dem Konsum (Intensivierung von sowohl positiven Stimmungen als auch negativen Empfindungen).
CBD (eines der über 80 Cannabinoide, die in Cannabis enthalten sind) hat keine berauschende Wirkung („high“), es wird aber von einem „Wattegefühl“ nach Einnahme berichtet, zudem soll CBD eine stimmungsaufhellende Wirkung haben. Zwar ist die Wirkung von CBD noch nicht hinreichend erforscht, als mögliche therapeutische Wirkungen werden jedoch antioxidative, entzündungshemmende, antiepileptische, brechreizhemmende, angstlösende, antidepressive und antipsychotische Effekte genannt.
Chronischer Cannabiskonsum kann zu einer psychischen und physischen Abhängigkeit führen, zusätzliche Risiken beinhalten die chronischen Atemwegsentzündungen, Krebserkrankungen (aufgrund des mitkonsumierten Tabaks), Verschlechterung von kognitiven Fähigkeiten (Gedächtnis, Konzentration, Verarbeitung von komplexen Informationen) und Entwicklung von Psychosen.
Schätzungsweise 300’000 Personen in der Schweiz nehmen täglich Schlaf- oder Beruhigungsmittel ein. Benzodiazepine werden hauptsächlich als Tranquilizer (u.a. bei Angstzuständen, Alkoholentzug, bipolare Störungen) oder als Hypnotika/Schlafmittel eingesetzt, mit einer kurz- (z.B. Midazolam), mittel- (z.B. Lorazepam) oder langanhaltenden (z.B. Diazepam) Wirkdauer. Sie führen bei längerem Gebrauch zu einer physischen Abhängigkeit, v.a. bei älteren Personen bergen sie grössere Risiken, da bei dieser Population die Metabolisierung der Medikamente verlangsamt ist. Es kann zu einer psychomotorischen und kognitiven Einschränkung (Verwirrtheit, Amnesien, Stürze mit Frakturen) kommen. Darum sollten Benzodiazepine nur in der kleinsten wirksamen Dosis und für die kürzest mögliche Dauer verschrieben werden. Die Risiken der Einnahme sollten mit den Patienten besprochen werden. Eine länger als 4 Wochen dauernde Verschreibung sollte nur ausnahmsweise und erst nach sorgfältigem Abwägen der Risiken und Vorteile erfolgen.
Untersuchungen zeigen, dass hospitalisierte Patienten mit einer Opioidabhängigkeit vom Fachpersonal wenig akzeptiert werden: häufig wird zu wenig auf vorhandene Schmerzbeschwerden eingegangen und körperliche Entzugssymptome werden als Zeichen einer Verschlechterung der Abhängigkeitserkrankung gewertet.
Umso wichtiger ist es darum, jedem Patienten mit einer hohen psychischen Stressvulnerabilität eine individuell angepasste Information und Kommunikation sowie medikamentöse Entzugsprophylaxe, Analgesie und Stressabschirmung – auch wiederholt – zuzusichern und dann auch tatsächlich zu gewähren/sicherzustellen, ansonsten droht aufgrund der stets begleitenden Angst vor Distress durch unzureichende analgetische Versorgung die Triggerung einer Abhängigkeitsaktivierung, organisch bedingte Komplikationen sowie typische Interaktionsstörungen zwischen dem Patienten und medizinischem Fachpersonal. Zudem kann eine Unterversorgung den intrahospitalen Substanzmissbrauch fördern, es werden dann benötigte Substanzen heimlich durch Dritte herbeigebracht. So führt zum Beispiel eine grosszügige perioperative Opioidmedikation zur physischen Entzugsprophylaxe nicht nur zu einer zufriedenstellenden Schmerzlinderung, sondern wirkt auch noch als Rückfallprophylaxe. Es empfiehlt sich darum eine möglichst frühzeitige interdisziplinäre Besprechung über eine adäquate Therapie aller in der Betreuung des Patienten beteiligten Personen.
Interessanterweise kann eine analgetische Unterversorgung auch bei Patienten ohne Anamnese einer Abhängigkeitsproblematik zum „pseudoaddictive behaviour“ führen.
Mögliche Vorurteile, die abgebaut werden sollten:
Als Folge der Toleranzentwicklung (s. Kapitel 1.4) resultiert ein pronozizeptiver Effekt und eine Senkung der Anzahl aktivierbarer Opioidrezeptoren (down-regulation), was zu einer Wirkungsabnahme exogen zugeführter Opioide führt. Pharmakodynamisches Korrelat der Toleranzentwicklung ist die Rechtsverschiebung der Dosis-Wirkungskurve von Opioiden. Folge davon ist die höhere Dosierung von Opioiden (30-100% höherer Bedarf) bei Opiatabhängigen – auch diejenigen unter einer Substitutionstherapie – um eine vergleichbare analgetische Wirkung zu erzielen wie bei opioidnativen Patienten.
Patienten unter einer Langzeiteinnahme von hochpotenten Opioiden müssen ununterbrochen das gewohnte Opioid in gewohnter Dosierung, gewohnter Applikationsform und zur gewohnten Zeit erhalten. Ist dies nicht möglich (z.B. Unmöglichkeit der enteralen Aufnahme), ist ein anderer reiner u- Agonist in einer orientierenden äquianalagetischen Dosisrelation zu verabreichen, ansonsten droht ein physisches Entzugssyndrom.
Es ist meist unumgänglich, bei Patienten mit einer vorbestehenden Opioidtherapie eine passagere Erhöhung der Dosis durchzuführen, um eine akute Schmerzexazerbation zu behandeln.
Patienten mit akuten Schmerzen (z.B. im Rahmen einer Operation) können durch Weiterführung der Opioiddauermedikation in gewohnter Dosierung alleine nicht behandelt werden, sondern erfordern immer eine zusätzliche passagere Erhöhung der Opioiddosis, kombiniert mit einer systemischen oder regionalen Schmerztherapie. Dabei haben zentrale und periphere Katheterverfahren Präferenz vor einer systemischen Analgesie, da sie eine effektivere Schmerzkontrolle bewirken.
Zur systemischen Schmerzkontrolle werden Nichtopioide (Paracetamol, Metamizol, NSAR) und Opioide kombiniert eingesetzt.
Wichtigstes Prinzip ist die Opioiddosistitration orientiert an der aktuellen Schmerzstärke. Dabei muss bei Patienten mit einer Opioidabhängigkeit die Wirksamkeit der verabreichten Substanz hinsichtlich Reduktion der Schmerzstärke, als auch hinsichtlich psychotroper Wirkungen (Sedierung, Entspannung, Distressminderung) deutlich häufiger als bei Patienten ohne Opioidabhängigkeit kontrolliert werden. Am besten eignet sich bei mittelstarken Schmerzen die jeweils vorbestehende Opioidtherapie mit einem kurz wirkenden Medikament der gleichen Substanzklasse als Reservemedikation zu ergänzen, verteilt auf 6-12 Gaben/Tag (z.B. Oxycodon/Naloxon (Targin ®) mit Oxynorm-Kapseln oder Morphin (Sevre-Long ®) mit Morphin-Tropfen oder i.v.PCA mit Morphium).
Es empfiehlt sich bei starken Schmerzen ausschliesslich intravenöse μ-Rezeptoragonisten (Morphin, Fentanyl) zu verabreichen , um eine rasche Kontrolle der Schmerzsituation (und auch entsprechend der Distress-Situation des Patienten) zu erreichen (z.B. durch i.v.-PCA, s. unten).
Ergänzend kann eine systemische Therapie mit einem CoAnalgetikum (z.B. trizyklische Antidepressiva, Antikonvulsiva) unter Beachtung allfälliger Kontraindikationen im Sinne einer balancierten Schmerztherapie begonnen werden.
Bei sehr starken Schmerzen eignet sich für eine rasche Schmerzkontrolle die intravenöse Gabe von reinen μ-Rezeptoragonisten (Morphin, Fentanyl), am besten als intravenöse patientenkontrollierte Analgesie (i.v.-PCA). Dabei zeigten mehrere Untersuchungen, dass auch bei Abforderung hoher Kumultativdosierungen die Triggerung von abhängigkeitsaktivierenden Prozessen ausbleibt.
Durch die zusätzliche Gabe von S-Ketamin kann die eingeschränkte Wirksamkeit von Opioiden und Nichtopioiden verbessert werden.
Kritisch zu betrachten ist hingegen die Gabe von intravenösen Opioid-Kurzinfusionen, da dabei im Vergleich zu einer i.v.-PCA (geringe Einzeldosierungen, Sperrintervall) höhere Blut- und Gehirnkonzentrationen erreicht werden mit entsprechend höherem Risiko für psychotrope Nebenwirkungen.
Um körperliche Entzugssymptome zu vermeiden, muss eine intrahospitale Prophylaxe stattfinden. Dabei orientiert sich die entzugsvermeidende bzw. entzugsreduzierende Opioiddosis am prähospital gewohnten Präparat, dessen Tagesdosis und Anwendungsdauer. Sollten körperliche Entzugssymptome auftreten, wirken sie stressverstärkend und müssen therapiert werden:
Die Kombination mit Clonidin kann sinnvoll sein, um stark ausgeprägte sympathikoadrenerge Kreislaufwirkungen zu dämpfen. Zusätzlich kann es durch neuronale Interaktionen mit dopaminergen Rezeptoren abhängigkeitsaktivierende Prozesse hemmen.
Sollte trotz dieser Massnahmen keine adäquate Entzugstherapie möglich sein, soll der Patient zur weiteren Behandlung auf die Intensivmedizin verlegt werden.
Wirkstoffauswahl und Narkoseführung unterscheiden sich unter Berücksichtigung von Komorbidität und Eingriff prinzipiell nicht von anderen Patienten, entgegen vielen Vorurteilen triggert eine Allgemeinanästhesie bei Abhängigen weder abhängigkeitsaktivierende Prozesse noch ist sie sonderlich gefährlich.
Prinzipiell ist eine Substitutionstherapie langfristig angelegt und erfolgt durch die einmalige tägliche Einnahme von Methadon (100-120mg im Schnitt), manche Patienten benötigen deutlich höhere Dosen bis zwei Mal täglich, um Entzugssymptome zu vermeiden.
Perioperativ sollte die Tagesdosis auf 3-4 Dosen verteilt werden (6-8 stündlich), da die Halbwertszeit für den analgetischen Effekt von Methadon geringer ist als für die Substitutionswirkung, kombiniert mit einer zusätzlichen Dosis (1/6 der Tagesdosis) in Reserve.
Im Gegensatz zu Methadon (reiner μ-Rezeptoragonist) handelt es sich beim Buprenorphin um einen partiellen μ-Rezeptoragonisten (Analgesie, Euphorie, Atemdepression) und einen K-Rezeptorantagonisten (verantwortlich für Sedierung, Dysphorie), entsprechend kommt es bei Patienten unter der Substitutionsbehandlung mit Buprenorphin (im Vergleich zu denjenigen unter Methadonsubstitution) deutlich weniger zu einer Sedation. Aufgrund der partiellen Wirkung am μ-Rezeptor erreicht das Buprenorphin auch bei sehr hoher Dosierung nur submaximale Wirkung und im Verlauf einen Tachyphylaxie-Effekt (meist ab 105 μ μg/h bei transdermalen Systemen oder 32mg/d bei sublingualen Tabletten), so dass Überdosierungen nur schwer möglich sind.
Bei allfälligen Unklarheiten bezüglich der Einnahmemengen sollte rasch die entsprechende Abgabestelle involviert werden. Insgesamt empfiehlt es sich, die Abgabestellen zeitnah über die Hospitalisation des Patienten zu informieren und so eine gute Kommunikation zwischen Spital und Abgabestellen zu pflegen.